Rock’n’Roll ist meine Religion

Wanda – das sind Wiener Schmäh und Rock’n’Roll-Attitüde. Das Quintett um Michael Marco Fitzthum alias Marco Michael Wanda feiert zehnjähriges Bestehen mit seinem fünften Album „Wanda“. PUBLIC-Autor Olaf Neumann sprach mit dem Sänger über kulturelle Aneignung, Drogen und einen Besuch bei Ton Steine Scherben.

 

Sie haben jetzt Ihr fünftes Album fertig gestellt. Was passiert, wenn sich erwachsene Egoisten, also Musiker, in einem Studio zu lange viel zu dicht auf der Pelle hocken?

Das passiert nicht, weil wir sehr schnell und konzentriert arbeiten. Bei dieser Platte war Pauli als Produzent im Aufnahmeraum und wir saßen in seiner Küche wie in einem Wartezimmer vor einem Arzttermin. Und dann ging einer nach dem anderen zu ihm rein. Egoprobleme hatte diese Band, wenn es um die Musik geht, nie. Dafür haben wir alle viel zu viel Respekt voreinander. In dieser Gruppe gibt es keine unsicheren toxischen Männer, die sich mit völlig überzogenen Aktionen Gehör verschaffen müssten. Wir können uns mittlerweile alles sagen, das war ein Prozess. Gerade durch die Pandemie sind wir uns viel nähergekommen.

 

Welche Rolle spielt Paul Gallister für die Band?

Er ist ein Freund und musikalischer Wegbegleiter. Für unsere eigene Biografie eine historische Person. Mit Pauli hat das hier angefangen. Als wir voreinander saßen und er fragte, was wir eigentlich machen wollen, sagten wir ihm: Uns geht es um etwas. Wir haben etwas zu sagen! Wir wollten auch nicht in der Indie-Blase bleiben und ins Zentrum der Gesellschaft vordringen. Am Zeitgeist mitarbeiten. Der wird ja im Moment wie beim Tauziehen von zwei Lagern immer mal in die eine oder die andere Richtung gezerrt.

 

Wie würden Sie diese Lager charakterisieren?

Es kommt mir mittlerweile so vor, als möchte das eine Lager eine allumfassende Toleranz für alles und das andere möchte dem konsequent einen Riegel vorschieben. In der Angst, dass dadurch die Gesellschaft so offen wird, dass sie quasi von außen verschmutzt wird. Wir hatten das Gefühl, dass unsere Musik Brücken zwischen diesen Lagern schlagen kann. Und auch ein wenig deeskalieren und alle daran erinnern kann, dass doch vor allen Prozessen die Achtung unserer Demokratie stehen sollte als eine Errungenschaft. Als etwas, das nicht selbstverständlich ist.

 

Kann Kunst dazu beitragen, die Welt zu retten?

Ein Konzert kann ein Gemeinschaftsgefühl anbieten. Vor allem bei einem Rockkonzert setzen sich eine gemeinsame Kraft und Energie frei, die ich nur von hier kenne. Wir leben in sehr schwierigen Zeiten, und vielen Menschen geht es wirklich nicht gut. Alles, was ich tun kann, ist, ihnen in zwei Stunden alles von mir zu geben und alles für sie zu sein. Dass auch meine Worte Einfluss haben, glaube ich nicht.

 

Der Rock’n’Roll ist inzwischen 70 Jahre alt. Wie kommt es, dass Sie als Spätgeborene ihn so sehr verinnerlicht haben?

Mich fasziniert daran, dass der Rock’n’Roll seine Wurzeln in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hat. Eigentlich war er ein Werkzeug, um soziale Grenzen zu überwinden. Das erste Mal tanzten schwarze und weiße Kids gemeinsam zu Musik. Dieser gemeinsame Nenner fasziniert mich am Rock’n’Roll bis heute. Ich sehe ihn nicht als einen Selbstvernichtungszirkus oder das per se rebellische, ungesunde Leben. Ich verstehe den Rock’n’Roll als Haltung und als geistige Reise. Man könnte fast meinen, er sei meine Religion.

 

Darf ein weißer Musiker den Blues der ehemals schwarzen Sklaven spielen? Manche meinen, er übernähme dann als Träger einer „dominanteren Kultur“ Elemente einer „Minderheitskultur“ – ohne Genehmigung, Anerkennung oder Entschädigung – und stelle diese in einen anderen Kontext.

Genau das war den amerikanischen Bluesmusikern ihrer Zeit ein großes Bedürfnis – dass ihre Musik weit über die Grenzen hinaus Menschen berührt und Relevanz hat. Für sie spielte Hautfarbe überhaupt keine Rolle. Insofern ist das ein Auftrag, den ich annehmen muss. Ich fühle mich berufen, es zu tun. Was haben sich damals schwarze Blueser gefreut, dass plötzlich weiße Kids in England ihre Musik spielen. Muddy Waters war zutiefst berührt, dass ihn eine junge Gruppe namens The Rolling Stones verehrte. Es ist eine große Erfolgsgeschichte einer anfangs so kleinen Musik. Aber selbst in der schwarzen Community in Amerika galt der Blues anfangs als Teufelszeug, diese Musiker wurden ausgestoßen. Schade, dass die Protagonisten von damals weitestgehend tot sind und sich in diese Diskussion gar nicht mehr einmischen können.

 

Muss man die Musikhistorie kennen, um den Rock’n’Roll wirklich leben zu können?

Ein Christ studiert seine Bibel und ich studiere meine Urväter und Urmütter. Natürlich ist mir das wichtig, es fasziniert mich. Rock’n’Roll und Blues ist die Geschichte von Außenseitern.

 

Mit „Halt dich an Deiner Liebe fest“ (Song: „Wir sind verloren“) zitieren Sie die legendäre deutsche Protestrockband Ton Steine Scherben. Ist das bewusst passiert?

Rio Reiser ist ein großes Vorbild von uns allen. Ich bin als Teenager durch Deutschland getrampt und habe Ton Steine Scherben auf ihrem Bauernhof besucht, der Lanrue war an dem Tag dort. Ich habe angeklopft, die Tür ging auf und da stand eine Frau, die sagte: „Du schaust aber aus wie Scheiße! Komm mal rein, kriegste was zu essen!“ Ich war fast am verhungern. Sie gaben mir ein Zimmer und ich durfte da machen, was ich will. Ich stand dann weinend an Rios Grab und führte ein sehr persönliches Gespräch mit ihm, bei dem ich mich für vieles bedankte. Und dann durfte ich auch noch eine ganze Nacht auf seinem Flügel spielen! Einer der herausragenden Momente in meinem Leben.

 

War das die Initialzündung, Musiker werden zu wollen?

Mir war damals schon klar, dass ich Musiker werden möchte, aber ich habe lange Zeit nicht geglaubt, dass man davon leben kann. Selbst als dann der Erfolg gekommen ist, rechnete ich jeden Tag damit, dass es ab morgen wieder vorbei ist. Es dauerte wahnsinnig lange, bis ich realisierte, dass das jetzt mein Beruf ist.

 

Sie singen, dass man immer ängstlicher, verletzlicher und lächerlicher werde. Ist das gut für einen Künstler?

Das ist der Prozess des Älterwerdens. Dieser Text ist wie eine Checkliste. Du kannst ja entscheiden, was du eigentlich davon sein willst. Will man verletzlicher werden? Will man grausamer werden? Will man einfacher werden?

 

Ist es gesund für die Psyche, sein Innenleben nach außen zu tragen?

Kommt drauf an, in welchen Momenten. Noch einen „Nackerten im Hawelka“ (Lied von Georg Danzer) brauchen wir nicht, aber anders kann man wahrscheinlich nicht gesund älter werden, als über sich und seine Gefühlswelt zu reden. Es ist ganz wichtig, sich irgendwann nicht mehr vor allem zu drücken und zu schützen. Aber was weiß ich schon.

 

„Mein Glaube ist der Wodka und der Wodka mein Grab“, heißt es in „Rocking in Wien“. Kann Alkohol kreativ machen?

Es hängt von der Menge ab. Ein Glas Wein zum Verarbeiten und Runterkommen ist sicher gesund, aber ob eine ganze Flasche noch kreativ macht, weiß ich nicht. Die besten Songs kamen mir immer nach ein, zwei Gläsern. Wenn ich dann aber weitergetrunken habe, wurde das Ding immer schlechter. Man muss nicht aufhören zu trinken, aber aufhören, an dem Song zu schreiben.

 

Die gängige Vorstellung vom Künstler, der Alkohol braucht, um kreativ zu sein, ist also nicht ganz falsch?

Ich glaube nicht, dass das eine gängige Vorstellung ist, weil die neue Generation komplett straight edge (drogenfrei, die Red.) ist. Kein K-Pop-Star raucht auch nur irgendwo eine Zigarette oder steht im selben Bezirk, wo jemand eine raucht. Das ist ein verstaubtes Bild aus der Romantik.

 

Künstler wie Keith Moon, Janis Joplin, Brian Jones, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain oder Amy Winehouse gehören gerade wegen ihres selbstzerstörerischen Lebensstils aus Sicht der Fans zu den großen Heiligen der Popkultur.

Ich fühle mich nicht wie ein Künstler, das ist schon mal mein Problem.

 

Wie das?

Mir klingt das irgendwie zu aufregend. Wenn ich im Ausland nach meinem Beruf gefragt werde, sage ich immer: Buchhalter. Das langweiligste, was man sich vorstellen kann.

 

BU: Wanda mit Michael Marco Fitzthum alias Marco Michael Wanda (vorne)

Foto: Tim Bruening

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