Jedes Jahr hat sich gelohnt
Sportfreunde Stiller – das klingt nach Jubel, Trubel, Heiterkeit. Dabei ist das Trio aber mehr als eine reine Spaßcombo. Auf ihrem aktuellen Album „Jeder nur ein X“ schlagen sie auch ernste Töne an. Mit Bassist Rüdiger „Rüde“ Linhof (49) und Frontmann Peter Brugger, der am 14. November 50 wird, sprach PUBLIC-Autor Olaf Neumann über die Bandkrise, die Weltkrise und die Fußballkrise.
„Ich scheiss‘ auf schlechte Zeiten“ heißt Ihre neueste Hymne. Neigen Sie dazu, Krisen zu verdrängen?
Peter Brugger: Ich neige eigentlich nicht dazu, sie zu verdrängen. Ich stelle aber fest, dass es mir nicht gut tut, wenn ich mich tagein, tagaus mit Nachrichten über diese Krisen zuballere. Die Ohnmacht ist einfach zu groß. Insofern verdränge ich bewusst hier und da, weil ich Zeiten brauche, in denen ich Energie tanken und meinen Kopf frei kriegen kann, um gut durch diese Krisen zu kommen.
Was können Künstler in diesen Zeiten tun?
Brugger: Kunst betreiben, Musik machen und vielleicht diese Themen in ihre Lieder einfließen lassen. Lieder können einen sehr gut begleiten und tragen in schwierigen Gefühlszuständen. So manches Musikstück hat mir schon über eine schwierige Phase hinweggeholfen.
„Du bist eine Bank“ handelt von Botschaften, die in eine Parkbank geritzt wurden. Funktionieren Sitzmöbel als Inspiration?
Brugger: Flo kam mit dieser genialen Idee ums Eck. Wenn solche Sätze auf einer Bank stehen, dann lassen sie sich viel einfacher singen. Ich hätte zum Beispiel den Dreh nicht gefunden, wie ich mal wieder voller Leidenschaft „Nazis fuck off!“ oder „Bomben und Kriege sind krank!“ singen kann. Das ist ein super Clou!
Eigentlich sollten Sie dieses Jahr mit Herbert Grönemeyer auf Tour gehen, aber er musste seine Tour aufgrund von Corona absagen. Wie groß war Ihre Enttäuschung?
Rüdiger „Rüde“ Linhof: Ich hatte mich darauf gefreut, wieder in Stadien vor vielen Leuten zu stehen. Als uns unser Manager dann in der Nacht vor dem geplanten Tourstart anrief, war das irgendwie unwirklich. Gleichzeitig kam die ganze Wucht von Corona wieder zurück. Es wäre vor allem eine gute Zeit gewesen. Aber beschweren bringt nichts. Bei Corona hat man lernen müssen, bestimmte Dinge zu akzeptieren. Als Musiker lebt man in einer sehr fragilen Welt.
Brugger: Ich habe ein kleines Pandemietrauma und glaube nicht mehr richtig dran, dass die Sachen stattfinden, die man so plant. In meinem Hinterkopf wabert immer eine Angst mit herum, dass es wieder nicht hinhaut. Die gefühlte Sicherheit ist weg.
Corona hat so manchen Profimusiker dazu gezwungen, zeitweise wieder in regulären Jobs zu arbeiten. Lohnt sich das Musikmachen noch?
Linhof: Es ist unheimlich schwer, als Musiker von selbstgeschriebenen Liedern und der eigenen Performance zu leben. Es lohnt sich auf jeden Fall von dem Standpunkt aus, dass man in einer Band großartige Dinge erleben kann. Das sind immer Geschichten, die für das ganze Leben stehen. Ob es sich auch finanziell lohnt? Man macht es aus Leidenschaft und nicht des Geldes wegen. Aber es ist schon überraschend, wie erfolgreich man sein muss, um davon leben zu können. Die Gesellschaft wird da früher oder später neue Prioritäten setzen müssen, indem man Künstlern, die ein gewisses Output haben, ein Grundgehalt zusichert. Weil Kunst eine Säule der Demokratie ist. Dass das Sich-Begegnen, das Fan-Sein und das Freude-Empfinden auf so einem fragilen Boden stehen muss, können wir so nicht hinnehmen.
Woher beziehen Sie in diesen Zeiten Ihren Optimismus?
Brugger: Wir hatten noch einmal eine ganz spezielle Situation dadurch, dass wir während der Pandemie als Band wieder zueinander gefunden haben. Insofern verbinde ich diese Zeit für uns mit etwas sehr Schönem. Es ist wie ein Neustart. Wir gehen gerade sehr offen und wertschätzend miteinander um, aber auch kritisch, was wir früher nicht so gut hinbekommen haben. Das war auch der Grund, weshalb wir in eine Pause gegangen sind. Die Band war für mich persönlich in der Pandemie der Lichtblick.
Woran hat es früher gehapert?
Linhof: Wir hatten immer wieder Phasen, wo es auf und ab ging. Innerhalb von solchen Prozessen wird Energie geschöpft. Der Prozess bei unserem Unplugged-Album etwa war sehr schmerzhaft. Ich konnte irgendwann nicht mehr sehen, dass es Sinn machen sollte, sich so aufzureiben. Aber ganz oft kam etwas Tolles dabei rum. Bloß diesmal war der Bogen überspannt, was damit zu tun hatte, dass wir soviel unterwegs waren.
Wer von Ihnen hat nach der Pause als erster wieder zum Hörer gegriffen?
Linhof: Unser Manager Marc hat eine Email geschrieben und gemeint, wir sollten uns alle mal treffen. Und plötzlich fanden wir uns in einem Café wieder. Ich dachte: „Hey, es kann nicht sein, dass diese ganze wahnwitzige Geschichte jetzt sang- und klanglos endet“. Diese Begegnung in dem Café war krass. Man hatte das Gefühl: Wir sind die Sportfreunde! Und schon wurde es wieder lustig.
Und dann wurde auch gleich über Musik und Fußball geredet?
Linhof: Über Fußball und über alles andere, was man so gemacht hat. Es ging aber eher darum, ob man die Vibes von dem anderen spürt und ob es okay ist, miteinander da zu sitzen. Man braucht gar nicht so viele Erklärungen, wenn es grundlegend stimmt.
Brugger: Es ging darum, zu spüren, wie jeder von uns gerade drauf ist und ob da noch etwas ist, was uns verbindet. Das haben wir alle ziemlich schnell gespürt. Und über Musik haben wir erstmal nicht geredet. Als wir dann diese Vibes festgestellt haben, kam auch die Lust auf, mal wieder Lieder im Proberaum zu spielen. Zuerst waren es nur alte, aber das war schon ein Flash.
Wussten Sie noch, wie es geht?
Brugger: Wenn Sie mich davor gefragt hätten, wie ein bestimmtes Lied geht, hätte ich es nicht sagen können. (lacht) Wir mussten es teilweise googeln. Aber als wir dann wieder loslegten, war dieses Gefühl wieder da. Was haben wir alles erlebt mit diesen Liedern! Kurze Zeit später kam auch die Lust wieder hoch, Neues zu erschaffen.
Ein humorvolles Lied auf dem neuen Album ist dem schwedischen Fußballstar Zlatan Ibrahimovic von der AC Mailand gewidmet. Was verbinden Sie mit ihm?
Brugger: Er ist ein krasser Typ, der es schafft, immer wieder zu überraschen. Wie Ibrahimovic nach der gewonnenen italienischen Meisterschaft zur Mannschaft gesprochen hat, war beeindruckend. Er ist ein leidenschaftlicher, mitreißender Typ und gleichzeitig ein krasser Freak, der sich sehr bewusst völlig überhöht. Wir freuen uns, weil es uns gelungen ist, das derzeit wichtige Thema Angst in ein Lied zu packen, das groovt und auch lustig ist. Ibrahimovic steht in dem Lied für den Wunsch, jemanden zu haben, der einen in den Arm nimmt, wenn die Angst anrollt.
Haben Sie für sich festgestellt, dass Sie füreinander da sind?
Linhof: Mit Band ist man das Gegenteil von allein. Es bedeutet, dass man füreinander da ist und füreinander denkt. Aber natürlich führt jeder von uns sein eigenes Leben.
Brugger: Wenn wir einen von uns übergehen, dann läuft die Schose nicht so. Wir sind gut, wenn jeder von uns sich da genauso reinhaut, wie er gerade ist. Die Band kann jemanden von uns mittragen, wenn der durchhängt, aber er muss mit dabei sein. Wenn er rauspurzelt, funktionieren wir nicht mehr.
Ibrahimovic ist jetzt in einem Alter, in dem der Körper anfängt zu streiken. Die biologische Uhr tickt mehr denn je gegen ihn. Wie haben Sie 27 Jahre Sportfreunde Stiller verkraftet?
Brugger: Schauen Sie uns an! Ich stelle schon fest, dass unser Alter jetzt natürlich ein anderes ist als vor 27 Jahren. Die Energie ist eine andere. Aber das Altern an sich ist spannend. In manchen Momenten hasse ich es, weil mein Rücken schmerzt. Gleichzeitig finde ich es wertvoll, auf diese Erlebnisse zurückzublicken. Wir wollen nichts darstellen, was wir nicht mehr sind. Wenn uns das gelingt, verspüre ich eine tiefe Zufriedenheit und habe Bock auf die nächsten zehn Jahre.
Linhof: Ich finde es krass, auf 27 Jahre Sportfreunde Stiller zurückzuschauen. Ich kann alte Tourpläne rauskramen oder über alte Setlisten stolpern und habe sofort Erinnerungen an bestimmte Städte, Räume und Menschen. Ich habe so viele leuchtende Augen in meinem Leben gesehen. Jedes Jahr in dieser Band hat sich für mich gelohnt, auch wenn wir hier und da hart über die Stränge geschlagen haben. Und wir gehen jetzt auf die 50 zu, das ist unglaublich.
Peter, Sie werden am 14. November 50. Auf dem Album singen Sie über „kleine Pimmel“ und „keine Eier“ („I’m Allright“). Konnten Sie sich das Pubertäre nicht ganz verkneifen?
Brugger: Das ist etwas, das in den Bandkosmos Einzug hält. Wenn wir zusammen sind, wird es gerne auch mal albern. Das Niveau sinkt teilweise ins Unterirdische und gleichzeitig steigen der Spaß und das befreite Lachen. Das ist etwas sehr Bandeigenes und mit nichts vergleichbar. So macht es tatsächlich Spaß, in die niederen Gefilde hinabzusteigen. Nicht immer, aber als Ausgleich.
Der Albumtitel „Jeder nur ein Kreuz“ ist ein Zitat aus Monty Pythons Filmsatire „Das Leben des Brian“. Stammt Ihre Lebensphilosophie ein bisschen aus dieser Quelle?
Linhof: Der Humor von Monty Python’s Flying Circus war für mich prägend. Die Botschaften, die in „Das Leben des Brian“ stecken, sind sehr vielschichtig: Ein Kreuz zu tragen reicht erstmal und schau, dass du dich nicht vergisst in deinem Leben! Wenn du es dir hier und da auch mal leicht machst, kannst du vielleicht mit der übrig gebliebenen Energie etwas Gutes bewirken. Selbstmitleid darf ich ruhig mal haben, aber bitte nicht zuviel! Eigentlich muss es vorwärts gehen, aber ich muss mein Kreuz auch irgendwo machen. Wunderbar auch, dass George Harrison „Das Leben des Brian“ erst möglich gemacht hat. Er hat da eine Million Pfund reingesteckt.
Die Fußballweltmeisterschaft steht bevor. Im Austragungsland Katar sollen Arbeiter ausgebeutet worden sein. Und in dem streng muslimisch geprägten Land drohen Besuchern lange Haftstrafen bei Missachtung der Gesetze. Außerehelicher Sex etwa kann mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden. Ist diese WM nur mit schwarzem Humor zu ertragen?
Brugger: Ich habe noch keine richtige Meinung dazu, außer dass es abscheulich ist, dass die FIFA mit ihrer ganzen kommerziellen Wertschöpfung im buchstäblichen Sinn über Leichen geht. Das stellt man auch in anderen Bereichen des Lebens fest. Aber ich mag mir ungern meine Liebe und Leidenschaft zum Fußball nehmen lassen. Ich will mich auf eine WM freuen wollen und sie genießen. Das kann ich jetzt aber nicht, weil ich es mir schwer tue mit dem Verdrängen.
Linhof: Wir tun immer so, als wäre gerade die mieseste Zeit der Menschheitsgeschichte. Aber schon bei der WM in Argentinien unter Pinochet gab es riesige Diskussionen, ob man in einer Diktatur eine Weltmeisterschaft stattfinden lassen soll. Dasselbe war 1970 in Mexiko, als Pelé von der brasilianischen Militärjunta noch einmal an den Ball gezwungen wurde. So lange es den Sport gibt, gibt es diese Diskussionen. Ich will es nicht relativieren, ich finde es widerwärtig, dass in Katar tausende von Menschen bei dem Bau der Stadien gestorben sind. Wir als Verband von Demokratien müssen uns fragen, wofür wir stehen wollen. Wollen wir sowas tolerieren? Nur darüber klagen und sich keine Gedanken machen, wie man es zukünftig anders machen kann, löst nur Unzufriedenheit aus. Wir müssen ein Selbstverständnis definieren!
Brugger: Ich fände es super, wenn auch aktive Sportler und teilnehmende Verbände sich klar positionieren würden. Ich weiß nicht, ob ein Boykott die Lösung ist. Früher hat man vieles gar nicht mitbekommen, weil die Informationslage eine andere war, aber man hat daraus nichts gelernt. Man drückt halt ein Auge zu, weil man ja nicht auf die WM verzichten will.