Swing ist mein Ding
Helge Schneider, Sänger, Multiinstrumentalist und Musikclown aus dem Kohlenpott, wird am 30. August 65 Jahre alt. PUBLIC-Autor Olaf Neumann traf den künstlerischen Draufgänger am malerischen Ufer der Ruhr zum Geburtstagsinterview.
Herr Schneider, Ihr neuestes Album erscheint als CD- und als Vinyl-Edition. Sind Sie leidenschaftlicher Plattensammler?
Ich habe nur die Platten zuhause, die mich mein Leben lang begleitet haben. Ein paar davon habe ich verliehen und nicht wiedergekriegt. Das ist besonders traurig, weil es die Platten waren, mit denen ich mich am meisten beschäftigt habe. Zum Beispiel eine Live-LP von Jimmy Witherspoon wurde mir von einer Unbekannten geklaut. Danach war ich vier Tage krank. 40 Fieber! Zu Glück gibt es ja jetzt YouTube. So konnte ich die Platte wieder hören. Das Internet hat auch seine guten Seiten.
Herr Schneider, wie sieht Ihr Alltag aus in der Zeit der Covid-19-Pandemie?
Ich habe monatelang aufgeräumt. Ich habe ein Lager aufgelöst und woanders wieder aufgebaut. Und ich habe mein Archiv durchgeguckt: VHS- und U-Matic-Bänder mit Film neben Kassetten und Tonbändern. Manchmal höre ich da rein, zum Beispiel in eine Live-Aufnahme von 1976 oder 77. Ich hatte damals eine Band mit meinem Freund Charly Weiss: El Synder und Charly McWhite. Er hat toll Schlagzeug gespielt. Leider ist Charly vor zehn Jahren gestorben.
Können Sie sich gut allein aushalten in den eigenen vier Wänden?
Ja, ich habe immer etwas zu tun. Und zum Schluss gibt es ja immer noch das Fernsehen. Sonntags Tatort zum Beispiel. Meistens aber irreale Geschichten. Ich habe auch schon Drehbuchautoren kennengelernt, die mit mir arbeiten wollten, aber ich habe keine Lust, nach herkömmlichen 08/15-Mustern zu funktionieren. Z.B. muss anscheinend immer ein Parallalstrang mit einer Liebesgeschichte mit rein. Wenn ich mir Krimis ansehe, dann meistens stimmungsvolle Filme wie „Fahrstuhl zum Schafott“, für den Miles Davis die Musik gemacht hat.
Welcher Sound schwebte Ihnen vor, als Sie das neue Album „Mama“ planten?
Ein natürlicher, warmer Sound ohne Synthesizer. Ich wollte überhaupt nichts Metallisches. Ich habe ein Klavier, das eine bestimmte Atmosphäre in die Aufnahmen bringt. Das klingt alles so direkt, als würde man daneben stehen. Beim Schlagzeugspielen mit Besen achte ich darauf, dass mir nicht langweilig wird. Der Rhythmus sollte direkt in den Körper gehen. Ich bin ja Swing-Musiker.
Sie beherrschen sämtliche Musikstile von Jazz über Rock bis hin zu Schlager. Gibt es für Sie auch „doofe“ Musikstile?
Eigentlich ist Swing mein Ding. Techno kann man sich normalerweise nicht anhören, vor allem, wenn einer an der Ampel neben einem steht. Trotzdem kann ich aus Gründen des Zeitgeistes manchmal irgendetwas mit ihm anfangen. Sprich: persiflieren.
Versuchen Sie als Songschreiber, thematisch immer mehr in die Breite zu gehen?
Ich suche mir immer sowas aus wie „Roswitha, die Striptease-Tänzerin“. Das muss mit Saxofon gespielt werden. Und bei dem Stichwort „Bouillon de Paris“ aus dem Song „Forever At Home“ habe ich sofort an ein Akkordeon gedacht. Dann habe ich mein Scandalli-Schifferklavier herausgeholt. Das habe ich mir vor 30 Jahren für 15.000 Mark gekauft – und nie drauf gespielt. Das ist nämlich so schwer, dass man es gar nicht hochgehoben kriegt, es steht jetzt wieder im Keller.
Sie sind kürzlich bei Stefan Raabs „Free European Song Contest“ unangekündigt für Deutschland aufgetreten – begleitet von den Heavytones. Haben Sie versucht, bei „Forever At Home“ die Struktur eines typischen ESC-Liedes zu kopieren?
Stefan Raab und ich sind Freunde. Ich habe ein Lied gemacht und es für dieses Medium bereitgestellt. Diesen Ausflug in die Fernsehwelt bereue ich nicht. Wenn ich selber mal den Apparat einschalte, wollte ich etwas Schönes hören. Das war lustig, aber auch anstrengend. Es ist nicht einfach, in einen riesigen, leeren, abgedunkelten Raum hineinzusingen.
Was ist das für ein Gefühl, für Deutschland zu singen?
Ich bin ja Deutscher, ich liebe Deutschland und kann ruhig für Deutschland auftreten. Ich könnte ja theoretisch auch Bundespräsident, Außen- oder Innenminister werden wollen, wenn ich Abitur hätte, aber ich bin nun mal Musiker. Das ist mein Beruf. Ich fahre regelmäßig durchs Land und erfahre die Deutschen als offene Gesellschaft. Gerade heute ist es sehr wichtig, für eine offene Gesellschaft die Stimme zu erheben, weil es hier auch einige Leute gibt, die davon überhaupt nichts halten. Denen sage ich, ich halte viel von einen offenen Gesellschaft. Ohne eine offene Gesellschaft würde es so tolle Musik nicht geben, die wir so lieben.
Warum war die Zeit als Säugling eigentlich Ihre schlimmste Zeit?
Ich habe daran nur fragmentarische Erinnerungen, zum Beispiel, wie ich im Kinderwagen lag und die Leute immer dachten, ich sei ein Mädchen. Im Kinderbett hatte ich mir mal den Kopf zwischen den Gittern eingequetscht. Später bin ich immer vom Schlafzimmerschrank aufs Bett meiner Eltern gesprungen. Als Mutter und Vater einmal in die Oper gehen wollten und ich bei einer Nachbarin bleiben sollte, habe ich so geschrien, dass sie zu Hause blieben. Da war ich etwa ein Jahr alt. Wir hatten einen Kohleofen. Es war alles unheimlich klein.
Ihre Tante lebte mit bei Ihnen?
Tante Erna hatte das Zimmer mit dem Telefon. Wir Kinder konnten da nicht dran. Mein Vater war aber auch sehr klein. Einmal haben sie ihn mit vier Mann nach Hause getragen, weil er so besoffen war. Er ging sonntags immer zum Frühschoppen. Ab dann durfte er das nicht mehr.
Wie musikalisch war die Familie Schneider?
Meine Mutter hat Gitarre gespielt. Mein Vater war ein Witzemacher und sagte immer, er könne nur Radio. Nach der Taufe meiner kleinen Schwester ging er nie mehr in eine Kirche hinein, weil die Bänke so unbequem sind. Er war ein ganz cooler Typ.
Wollten Sie eigentlich selbst Vater werden?
Da denkt man doch mit 26 Jahren noch nicht dran. Ich wollte immer nur Musik machen. Ich hatte 1000 Jobs und habe mal hier, mal da gespielt. Dann kamen plötzlich drei Kinder auf einmal. Die Mutter ist eine ziemlich taffe Frau, die sehr viel übernommen hat, weil ich öfter auf Tournee war.
Wie hat Ihr kleinbürgerliches Elternhaus Sie geprägt?
Auf der einen Seite bin ich sehr ordnungsliebend und kann in einem kleinen Rahmen leben. Andererseits mache ich genau das Gegenteil: Ich habe 60 Gitarren, fünf Flügel, Kontrabässe, alte Autos und Motorräder. Meine kleinbürgerliche Herkunft hält mich aber auf dem Teppich. Ich versuche zum Beispiel, keine Schulden zu haben. Und Kinder kosten ja auch Geld.
Sie werden mitten in der Corona-Krise 65 – und können wahrscheinlich keine große Party feiern. Finden Sie das traurig?
Nach der Party an meinem 50. Geburtstag habe ich vier Tage lang aufgeräumt. Das mache ich erst wieder, wenn ich 100 werde. Könnte sein, dass meine Kinder alle zu mir kommen, aber vielleicht ist das ja wegen Corona gar nicht möglich.
Überprüft man sein Leben in so einer Ruhephase?
Naja, letztes Jahr habe ich in Spanien in einem Krankenhaus gelernt, mit ziemlich extremen Situationen umzugehen. Seitdem bin ich viel ausgeglichener. Jetzt geht es mir wieder gut.
Auch auf der Bühne?
Ja, auch. Neulich haben mich fünf junge Radfahrer angepöbelt, da habe ich dem einen hinterhergerufen: „Schneid dir mal ordentlich die Haare!“ Worauf er sich umdrehte, zu mir zurückkommen und mich verprügeln wollte. Ich jedoch habe meine Arme wie Muhammad Ali lässig herunterbaumeln lassen. Ich fahre selbst mal Fahrrad, aber ich gebe Fußgängern, Hunden und Vögeln immer Vorrecht.