Mit Helge Schneider kann man nicht nur trefflich über Jazz, sondern auch über den Klang von Motoren diskutieren. Wenn er nicht gerade begeistert Musik macht, schraubt er an seinem Oldtimer-Traktor der Marke Deutz (15 PS) herum. An der malerischen Ruhr ließ PUBLIC-Autor Olaf Neumann sich den Wind um die Nase blasen, während er von dem Sänger, Multiinstrumentalisten und Musikclown Schneider neben Tipps für Olaf Scholz alles über das neue Doppelalbum „The Last Jazz II: Die Reaktion“ erfuhr.
Helge Schneider

Das Doppelalbum „The Last Jazz II: Die Reaktion“ ist bereits Ihre zweite Lockdown-Produktion. Wollen Sie mit der Platte zeigen, wer Sie wirklich sind? Ich habe immer schon solche Musik gemacht. Ich will eigentlich gar nichts damit zeigen, sondern einfach nur machen. Ich habe im Lauf der Zeit einiges aufgenommen, und das hörte sich auch ganz gut an. Ende November bekam ich einen Auftrag für Filmmusik. Ein französischer Dokumentarfilm. Und dann bin ich dabei geblieben und habe ein Sammelsurium verschiedenster Ideen zu einem Brei geflochten.

Wie kam es, dass Ihr Sohn Charly Ihr Schlagzeuger wurde?
Erst wollte ich ihn nur eine viertel Stunde trommeln lassen, aber als Pete York einmal nicht konnte, fragte ich Charly, ob er sich auch ein ganzes Konzert zutrauen würde. „Ja sicher!“ Er spielt langsamen Blues wie ein Opa. Henrik, der Gitarrist und ich waren echt von den Socken.

Ist Ihr Sohn mit Ihrer Musik aufgewachsen?
Seit Charly ein halbes Jahr alt ist, war er mit mir regelmäßig auf Tournee. Er spielte schon mit anderthalb Jahren mit mir zusammen Bebop-Stücke. Aber auch nur mit mir. Wenn er in Berlin ist und zur Schule geht, fasst Charly das Schlagzeug nicht an.

Was macht er anders als ein Pete York?
Er hat ein völlig unvoreingenommenes Soundbild und klingt unheimlich gut. Das liegt auch an seiner Größe. Wenn ein kleiner Mensch so einen Knüppel auf ein Becken haut, dann schlägt er da für seine Verhältnisse ziemlich fest drauf. Aber es klingt anders als bei einem Erwachsenen, der dieselbe Kraft aufwendet. Irgendwie ist der Mensch auch ein Resonanzkörper.

Hat Charly mit seinen elf Jahren bereits ein Gefühl für Jazzmusik entwickelt?
Er bezeichnet sich selbst als Jazzschlagzeuger. Er übt nicht, wir spielen einfach. Lediglich ein paar Tricks hat er sich von mir abgeguckt. Ich zeige ihm immer Aufnahmen von Leuten wie Gene Krupa, Buddy Rich, Elvin Jones oder Papa Jo Jones. Krupa hat optische Tricks in die Musik mit einfließen lassen. Diese Musik war Bewegung pur. Wenn man talentierten Kindern so etwas zeigt, verstehen sie das.

Haben Sie Ihre Kinder während des Lockdowns unterrichtet?
Ich habe es versucht. Es ist nicht so einfach. Ich habe mit Charly neun Stunden an seinen Mathematikaufgaben gesessen. Ich finde, ein Elfjähriger muss nicht neun Stunden am Tag Mathe pauken. Wenn er den Stoff nicht versteht, muss man so lange warten, bis er soweit ist. Jemand, der gut rechnen kann, ist nicht zwangsläufig intelligent – und umgekehrt. Denn die Logik in der Mathematik ist manchmal sehr verschlüsselt. Wer sagt denn, dass zwei plus zwei gleich vier sind?

Wären Sie enttäuscht, wenn Ihre Kinder mit schlechten Noten nach Hause kämen?
Das ist mir egal. Dem Charly sind Noten auch gleichgültig. Sein Musiklehrer sagte zu ihm, er würde vielleicht eine schlechte Note bekommen, wenn er nicht regelmäßig zum Unterricht erscheint. Da erwiderte Charly „Na und!“ Da kann man nichts mehr machen.

Waren Sie als Schüler auch so?
Ich hatte einen Freifahrtschein in Französisch. Mein Lehrer sagte zu mir: „Es wäre ganz gut, wenn du gar nicht kommst. Ich gebe dir sofort eine Sechs. Bist du damit einverstanden?“ Ja klar, da hatte ich frei. Das könntest du heute nicht mehr machen, denn dann würden die Eltern zu einem Anwalt gehen. Meine Eltern haben das aber nicht gewusst.

Erkennen Sie sich in Charly selbst wieder?
Ich habe ja mehrere Kinder, wobei Charly das jüngste ist. Es kommt mir so vor, als sei er geklont. Ich war genauso ein Dickkopf wie er. Er erfindet immer etwas und hat nie Langeweile. Auch ich konnte mich als Kind gut beschäftigen.

In Ihrer Biografie ist zu lesen, dass Sie als Sechsjähriger nachts heimlich die Zigarren Ihres Vaters rauchten. Wahrheit oder Fiktion?
Nein, das habe ich nicht gemacht, aber ich habe mit acht oder neun Jahren Schreckschusspistolen unter der Bettdecke ausprobiert. Diese Pistolen waren ziemlich gewieft und sehr laut. Ich besaß einen großen Colt, eine Cobra-E mit Stupsnase und eine Pantamatic mit Magazin zum Reinschieben. Die habe ich dann unter der Bettdecke ausprobiert, und da ist mein Vater natürlich sofort hochgegangen.

Und hat Ihnen den Hintern versohlt?
Nein, nein, aber die Pistolen waren für immer und ewig weg. Wir waren Pazifisten.

Hat Ihr Vater am Zweiten Weltkrieg teilgenommen?
Nein. Er war ja nur 1,49 Meter groß und hatte einen Buckel, weil er als Kind an Rachitis erkrankt war. Seine Mutter in Duisburg hat ihn erfolgreich weglanciert. Aber einer meiner Onkel kam auf dem Schlachtschiff Tirpitz um. Ansonsten haben mir meine Eltern nie etwas erzählt. Ich hatte aber ein altes Foto, auf dem meine Tanten in BDM-Tracht abgebildet waren, und in der Mitte stand zufällig mein damaliger Musiklehrer. Damit bin ich als 13-Jähriger zu ihm gegangen. Daraufhin klebte er mir eine und zerriss das Bild. Ab da hatte ich eine Sechs in Musik. Irgendwann hat er unser Gymnasium verlassen. Mein Mathematiklehrer Max Jüttner hingegen war ein Freigeist. Jahre später traf ich ihn wieder und er sagte zu mir: „Ich habe gewusst, aus dir wird noch was“.

Wollen Sie auch das neue Album live präsentieren?
Vielleicht zwei, drei Stücke davon. Das, was ich jetzt herausbringe, ist schon sehr speziell. Ein Klaviersolo kann ich natürlich nicht mit Band auf einer Open-Air-Bühne spielen.

Werden Sie Charly demnächst wieder mit auf Tour nehmen?
Auf jeden Fall. Mein Bassist Ira Coleman aus Amerika ist schon zweimal geimpft worden. Er wird hoffentlich kommen dürfen. Sandro Giampietro spielt die Gitarre. Und mein Teekoch ist auf jeden Fall auch dabei. Coole Sache!

Hat Corona für Sie einen spirituellen Mehrwert?
Kurz nach meiner Geburt hätte ich nicht gedacht, dass die Welt so klein ist. Irgendwann sind die Computer gekommen und mit ihnen die Informationen. In den letzten fünf Jahren ist das extrem geworden. Durch Corona lebt man im Internet. Plötzlich hat man ein abstruses Verhältnis zur Welt, die in diesen Bildschirm hineinpasst. In den 1970er Jahren konnte man mit dem Motorrad nach Nepal fahren, das funktioniert aber nicht mehr. Obwohl die Welt so klein ist, kommt man nirgendwo hin. Das Theater geht jetzt viral. In Wirklichkeit ist das Schmuh. Denn Theater muss man riechen, hören und anfassen. Genauso ist das mit der Musik. Bleibende Eindrücke wie Sammy Davis jr gesehen zu haben, sind wie eine Fotografie. Die machen das Leben aus und nicht Spotify. Das Internet ist nicht nett.

Streamingkonzerte kommen für Sie nicht infrage?
Nein. Ich könnte mir vorstellen, einen Film zu drehen, aber Streamen ist unehrenhaft.

Vermissen Sie das Live-Spielen sehr?
Nein, aber irgendwann möchte ich wieder auftreten. Das ist nicht einfach, wenn man ein Jahr raus ist. Der vergangene Sommer war nur eine willkommene Abwechslung. Wenn ich es dann wieder mache, muss es auch gut sein. Im Sommer werden wir wohl vor Strandkörben spielen. Aber bloß nicht vor Autos! In Dinslaken sind wir mal vor 1000 Maskierten aufgetreten. Ich glaube, da war das Wort „Inzidenz“ noch nicht in aller Munde. Aber Zahlen sagen sehr wenig. Meine Prognose ist: Dieses Jahr läuft nichts in normaler Form. Die Bundesregierung gibt sich wirklich Mühe, aber aus Solidaritätsgründen sollten bestimmte Maßnahmen überall gleich sein. Bei meiner letzten Tour durch die Bundesrepublik war es aber jedes Mal anders.

Sollten private Veranstalter in Zukunft die Möglichkeit haben, nur geimpfte Besucher für Konzerte zuzulassen?
Das fände ich komisch. Manche können ja gar nicht geimpft werden. Und wenn ich nicht geimpft bin, darf ich vielleicht nicht auftreten. Ich weiß es auch nicht genau. Wie die Wissenschaftler, die wissen ja auch nicht alles.

Nach Ihrem Brief an Olaf Scholz wurden die Hilfen für Soloselbständige korrigiert. Was möchten Sie dem Finanzminister bzw. der Bundesregierung sonst noch raten?
Ich könnte Olaf noch mehr Tipps geben, aber mir fällt gerade nichts ein. Ich habe aber einen Tipp für das Bildungsministerium: Schulkinder sollten zweimal in der Woche Dick & Doof-Filme gucken. Das wäre eine wichtige soziale Komponente, um das Zusammenleben zu sichern. Das ist mein voller Ernst. Von diesen Filmen lernt man, dass man das Leben so nehmen muss, wie es ist. Man darf sich selbst nicht so ernst nehmen. Und auch die Schule nicht, weil daraus dramatische Depressionen entstehen können.

Corona vermiest Ihnen also nicht den Humor?
Humor baut ja auf sowas auf. Ich bevorzuge jetzt keinen schwarzen Humor, aber Witz wird immer gebraucht. Er ist das Blut des Lebens. Bei jeder Beerdigung ist man irgendwie auch lustig.

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