40 Jahre PUBLIC: Harmut El Kurdi liest im Literaturhaus

Von der Liebe zu Kolumnen und skurrilen Aussichten

Seit 30 Jahren schreibt Hartmut El Kurdi seine PUBLIC-Kolumne. Mit Lina Wölfel hat er sich darüber unterhalten, was ihn an dieser Darstellungsform begeistert, welche Rolle Hildesheim für ihn spielt und welche Superkraft er hat.

Die Website vom Literaturhaus ist gerade down. Was liest du denn?

Da es ja die Lesung zu meinem 30-jährigen KolumnenJubiläum im PUBLIC ist, werde ich natürlich hauptsächlich Kolumnen lesen, aber auch einige Kurzgeschichten. Vielleicht singe ich auch das eine oder andere Lied.

Du schreibst für unglaublich viele Stadt-Magazine und Tageszeitungen. Was ist für dich so das Spannende an Kolumnen?

Ich mag Kolumnen wegen ihrer para-literarischen Form. Sie sind weder Literatur, noch Journalismus. Sie sind irgendwas dazwischen. Man versucht, wie im Journalismus aktuelle Themen aufzugreifen, kann das aber in einer unterhaltsamen literarisch-künstlerischen Form tun.

Wie bist du zu den Kolumnen gekommen?

Als ich begonnen habe, Kolumnen zu schreiben, gab es ja die ganzen sozialen Medien noch nicht, in denen sich heutzutage jeder und jede ständig zu jedem beliebigen Thema äußern kann. Da war eine regelmäßige, gedruckte Kolumne ein Privileg: Einmal im Monat über ein selbstgewähltes Thema in einer selbstgewählten Form zu schreiben. Das fand ich sehr reizvoll. Und ich merke, obwohl ich heute auch u.a. auf Facebook und Instagram Inhalte poste – vom albernen Scherz bis zum ernst gemeinten politischen Statement –, mag ich es einfach immernoch, diese alte Form zu bedienen: 4500 Zeichen auf Papier, Anfang, Ende, Mittelteil, ein Text mit einer Dramaturgie …

Und wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass nicht jeder seit 30 Jahren deine Kolumne liest: Was sind deine zentralen Themen?

Ich habe ja verschiedene Schwerpunkte. Ich würde mich einerseits als einen sehr politischen Menschen einordnen und schreibe z.B. oft über Rassismus und Rechtsradikalismus. Weil es mich selbst betrifft, aber auch weil ich glaube, dass das aktuell die größten Probleme unserer Gesellschaft sind. Auf der anderen Seite bin ich aber auch jemand, der gerne komisch und unterhaltsam schreibt und sich über die Absurditäten dieser Welt Gedanken macht. Oder sich über Dinge lustig macht und amüsiert. Die Kolumne erlaubt mir, das alles zu bedienen. Das ist das Schöne.

 

 

Was möchtest du mit deinen Texten erreichen?

Eigentlich will ich immer unterhalten. Ich möchte, dass die Leser*innen Spaß haben. Und gleichzeitig geht es bei ernsteren Themen natürlich auch um Aufklärung und Information.

Hast du eine LieblingsKolumne?

Zumindest gibt es Kolumnen, die ich so mag, dass ich sie immer wieder gerne öffentlich vorlese. Manche eignen sich dazu ja besonders. Ich habe mal eine Kolumne geschrieben, in der es um meine migrantische Familiengeschichte ging. Mit der habe eine Zeit lang meine Lesungen begonnen. Quasi um mich vorzustellen. Ich hab da versucht, diese doch sehr verworrene Geschichte, die mit England, Deutschland, Jordanien, Arabern, Tscherkessen, Kurden und was weiß ich alles noch zu tun hat, in einen komischen und unterhaltsamen Drei-Minuten-Text zu gießen. Das ist wahrscheinlich eine meiner Lieblings-Kolumnen.

Welche Rolle spielt für dich Hildesheim?

Hildesheim war temporäre Heimat: Hier habe ich studiert und über acht Jahre gelebt. Hier habe ich angefangen, professionell zu schreiben. Die PUBLIC-Kolumne war tatsächlich meine erste regelmäßige Kolumne und wenn ich mich nicht täusche, habe ich nie auch nur einen Monat ausgesetzt ich schreibe sie seit 1991 ununterbrochen. Es gibt andere Kolumnen, die ich zwischendurch geschrieben habe, die es schon nicht mehr gibt, aber Hildesheim zieht sich durch.

Und du hast nie gedacht, du möchtest die jetzt mal in den Sand stopfen und aufhören?

Nee. Manchmal hat man das Gefühl: So jetzt hat man alles gesagt, was man zu sagen hat – aber dann ändert sich plötzlich die Welt oder man selbst und man muss sich neu positionieren – und auf einmal ist alles wieder ganz frisch und neu. Für mich ist vor allem wichtig, dass ich eine gewisse Freiheit beim Schreiben habe und die habe ich beim PUBLIC.

Du bist ein Tausendsassa, schreibst Kolumnen, Theaterstücke, Kinderbücher, Prosa, bist Regisseur, Dramaturg, Gitarrist, auch noch Hörspielautor und Schauspieler. Habe ich was vergessen?

Keine Ahnung (lacht).

Wolltest oder konntest du dich nie entscheiden?

Das hängt ja zusammen. Wenn man sich nicht entscheiden kann, hat das was damit zu tun, dass man es eigentlich nicht will. Zumal für mich die Sachen alle miteinander zu tun haben.

Du lässt dich also vom einen für das andere inspirieren?

Ja, klar. Texte haben für mich zum Beispiel immer mit Rhythmus zu tun, also mit Musik. Und wenn man auf eine Bühne geht und Theater spielt, ist es nützlich, wenn man sich vorher dafür einen guten Text geschrieben hat. Was das Schreiben selbst betrifft: Natürlich erfordern unterschiedliche Genres unterschiedliches handwerkliches Können, aber trotzdem ist der Vorgang des Schreibens für mich stets der gleiche.

Was sind Dinge, die dich im Alltag begeistern?

Skurrile Menschen. Menschen, die seltsam angezogen sind oder sich seltsam benehmen. Das kann mich durchaus zum Lachen bringen. Nicht auf eine abwertende Art, sondern ich freue mich dann, dass es diese Menschen gibt. Ich liebe Exzentrik. Oder auch ungewöhnliche architektonische Kombinationen. Ich freue mich darüber, wenn ich ein wunderschönes altes Haus neben einem tollen Glas-und-Stahl-Gebäude sehe.

Wenn du ein Superheld wärst, was wäre deine Superkraft?

Wie mein Kinderbuch-Superheld „Angstmän“ bin ich sehr begabt darin, Angst zu haben. Aber ich kann diese Ängste auch dann wieder gut überwinden. Ich bin also ein großer Schisshase und grade deswegen auch wieder sehr furchtlos.

 

 

Was kommt bei dir als nächstes?

Ich hab gerade ein neues Kinder-Hörspiel geschrieben, das vom Deutschlandradio produziert wird. Und ich bereite gerade eine Lesung vor mit Texten vor, die ich im ersten Lockdown geschrieben habe. Das war ein Internetprojekt über meine seltsame Kindheit bei den Zeugen Jehovas: PopUpGott und die Welt“.

Kannst du schon verraten, worum es in dem KinderHörspiel geht?

Im Hörspiel geht es um Archäologie, Geschichte – und um eine Kinder-Freundschaft. Kurz: Ein Junge ist total begeistert vom Troja-Ausgräber Heinrich Schliemann und will selbst Archäologe werden. Er beginnt quasi sein Umfeld umzugraben. Es endet damit, dass er und seine Freund*innen letztendlich eine alte Bombe aus dem zweiten Weltkrieg ausbuddeln. Das ist natürlich nicht ungefährlich...

Gibt es ein Thema oder ein Anliegen, worüber du schon immer mal schreiben wolltest, aber es noch nicht gemacht hast?

Nö, eigentlich nicht. Es gibt sicherlich Themen, mit denen ich mich noch näher beschäftigen möchte. Auch ein Grund, warum ich so gerne Kolumnen schreibe: Sie lassen zu, dass man sich einem Thema immer wieder von einer anderen Seite her nähern kann.

Harmut El Kurdi liest im Rahmen des 40. PUBLIC-Geburtstages am Freitag, 30. September, ab 19.30 Uhr im Literaturhaus St. Jakobi. Der Eintritt kostet an der Abendkasse 8, ermäßigt 5 Euro. Mehr Infos unter www.stjakobi.de.

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