Für immer ruppig
Bob Dylan wird am 24. Mai 80 Jahre alt und gibt so gut wie keine Interviews mehr. PUBLIC-Autor-Olaf Neumann hat mit Wegbegleitern und Familienmitgliedern gesprochen.
Bob Dylan wird achtzig
Foto: Jaro Suffner

Geht es nach dem einflussreichen Magazin Rolling Stone, dann hat Bob Dylan den besten Song aller Zeiten komponiert: „Like A Rolling Stone“. Damit schlägt er die Beatles, Rolling Stones und David Bowie. Und den Nobelpreis für Literatur hat außer ihm sowieso noch kein anderer Songschreiber erhalten. Und doch scheiden sich die Geister an dem am 24. Mai 1941 in Duluth/Minnessota geborenen Sänger. Die einen empfinden ihn als Anti-Belcanto, andere attestieren seiner näselnden Stimme eine „tolle Härte“. Das heisere Röcheln des alten Dylan ist angeblich eine Reaktion auf die engelsgleichen Klänge seiner Jugendliebe Joan Baez. Vor einer halben Ewigkeit transportierte sein Gesang genug Gefühl, Einfachheit, Natürlichkeit und Wärme, um eine ganze Generation zu Tränen zu rühren. Heute ist er ein unberechenbarer Künstler, der bei seinen Live-Auftritten gern mal mit einem völlig ruinierten Organ schockiert, aber bei Studioaufnahmen das Geheimrezept für saubere Vocals zu kennen scheint.

Die große Gospelsängerin Queen Esther Marrow (80) hat es jedenfalls geliebt, vor vier Jahrzehnten mit Bob Dylan im Studio und auf der Bühne zu arbeiten. „Er ist ein sehr ruhiger Typ. Und er ist schüchtern“, urteilt die farbige US-Amerikanerin. „Bei den Proben habe ich immer genau auf seine Texte gehört. Darin bezog er oft Stellung, was gesellschaftliche Dinge betrifft. Ich liebte ‚The Times They Are A-Changing’ und ‚Blowing In The Wind’. Die Background-Stimmen zu ‚Masters Of War’ zu singen war überwältigend“.

Dem Fotografen Elliott Landy (79) öffnete sich der ansonsten sehr verschlossene Dylan 1968 in Woodstock so sehr, dass dabei einzigartige Bilder herauskamen. Hat er ihn besser verstanden als andere? „Das denkt wahrscheinlich jeder, der sich einmal mit ihm unterhalten hat“, lacht Landy. „Ich glaube, der Grund, weshalb ich ihm so nahe kam, war, dass ich nichts von ihm persönlich wollte. Ich hatte weder die Absicht, mich in seinem Ruhm zu sonnen noch sein Kumpel zu werden geschweige denn, ihn um ein Autogramm zu bitten. Ich wollte einfach nur wunderschöne Fotos von ihm machen. Und zwar auf sehr ruhige Weise, ohne ihn damit zu nerven, wie viel ich übers Fotografieren weiß. Und dann hat er sich geöffnet.“

Wolfgang Niedecken erlebte Dylans 30. Jubiläumskonzert im Oktober 1992 im New Yorker Madison Square Garden aus nächster Nähe mit. „Es war großartig“, erinnert der Bap-Frontmann. „Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass Dylan, der ja erst ganz am Schluss auftrat, sich besonders wohl gefühlt hat. Er ist wirklich schüchtern, das ist keine Attitüde. Er stand an dem Abend auf der Bühne wie Charlie Chaplin, der im falschen Moment erwischt wurde. Erst als alle seine Lieblingskollegen mit ihm ‚My Back Pages’ sangen, hat er es genossen.“

Niedecken, der den Sänger zweimal persönlich getroffen hat, meint an ihm Dinge wahrzunehmen, die gemeinhin übersehen werden. „Ohne ihm zu nahe treten zu wollen: Ich glaube, der Grund, dass Dylan keine Gitarre mehr spielt, ist sowas wie Gicht oder Arthrose. Einen Händedruck von ihm gibt es eigentlich gar nicht. Bei der nächsten Begegnung, Backstage in Saarbrücken; ist er mir mit der Ghettofaust entgegengekommen. Das habe ich Gott sei Dank im letzten Moment geschnallt.“ Dazu passt, dass Dylan nicht persönlich zur Nobelpreis-Verleihung in Stockholm kommen wollte. Er ließ stattdessen eine Rede verlesen. Seine alte Freundin Patti Smith trug zudem das Lied „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ vor – und stockte vor Nervosität. Wahrscheinlich ganz nach Dylans Geschmack.

„Bob Dylan ist nicht wie andere Künstler“, weiß die Sängerin Sheryl Crow aus eigener Erfahrung. „Man kann ihn nicht einfach einladen. Er müsste schon freiwillig vorbeischauen und Lust haben, mit einem Musik zu machen. Ich weiß, dass er mich als Künstlerin schätzt. Aber ich glaube, er hätte keine Lust, solch einer Einladung Folge zu leisten. Aber ich wollte ihn trotzdem auf meiner letzten Platte haben. Also nahm ich einen seiner Songs auf und bat ihn anschließend um seinen Segen.“

Was ist Dylan für ein Mensch? „Er ist brillant und unvorhersehbar“, so Crow. „Mir gegenüber war er immer sehr generös und hat mich zu seinen Partys eingeladen. Dafür liebe ich ihn.“

Laut dem Magazin Spiegel quält er sein Publikum mit miesen Konzerten, verhökert seine Songs an große Konzerne und inszeniert sich als Dauer-Rätsel. Wolfgang Niedecken findet, Dylan müsse auch nicht höflich zum Publikum sein. Wer sowas bemängelt, habe ihn nicht begriffen. „Man hofft vor einem Konzert immer, dass er sich wohl fühlt und Lust dazu hat. Ich habe teilweise sehr uninspirierte Auftritte von ihm gesehen, aber auch sensationelle. Er ist halt auch nur ein Mensch. Vielleicht hat er ja nicht genug gute Freunde, die ihm sagen, er solle lieber nur halb so viele Konzerte spielen und die dafür auch gut. Zeitweise hat er auch ziemlich tief ins Glas geguckt.“

Für Niedecken ist Dylan ganz klar in Würde alt geworden. Kleinere Verirrungen auf dem Weg dahin seien ihm gestattet. „Dylan wusste in der zweiten Hälfte der 1980er nicht so richtig, wo es für ihn langgehen sollte. In dieser Midlifecrisis hat er Platten herausgebracht, die weder Kopf noch Arsch hatten. Aber sein Alterswerk ab ‚Time Out Of Mind’ ist wieder großartig.“

Der Produzent Daniel Lanois kommt mit dem als schwierig geltenden Weltstar scheinbar besonders gut aus. Sein spezieller Trick im Umgang mit Dylan ist „Genauigkeit und Schnelligkeit“. Hat der Kanadier doch die modernen Klassiker „Oh Mercy“ (1989) und „Time Out Of Mind“ (1997) produziert. „Bob Dylan hasst es, lange im Studio zu sein. Deswegen muss man ohne Umschweife zur Sache kommen“, erzählt Lanois (69). „Dylan ist immer phantastisch vorbereitet. Also spiele ich alle Möglichkeiten durch, bevor wir uns zur ersten Studiosession treffen. Dann sehe ich zu, dass ich niemals eine falsche Note spiele. Dylan weiß, dass ich genauso dem Klang verfallen bin wie er dem Wort.“

Die schwierigste Aufgabe eines Produzenten ist laut Lanois nicht die Beherrschung der Studiotechnik, sondern eine tiefe spirituelle Verbindung und einen philosophischen Zugang zu komplizierten Persönlichkeiten wie Dylan zu kriegen, was ziemlich lange dauert. „Weil es dabei nicht nur um die musikalischen Ideen geht, sondern um das ganze Leben. Wie ist man als Persönlichkeit gestrickt, wie sehr der Sache verbunden und so weiter. Wenn das funktioniert, steht einer langen Beziehung nichts mehr im Weg”.

Jakob Dylan (51), jüngster Sohn aus der Ehe von Bob und Sara Dylan, hat nicht nur das Talent seines Vaters geerbt, er ist ihm auch wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Filius spricht zwar nicht gern über seinen alten Herren, liegt mit ihm aber musikalisch auf einer Wellenlänge. „Ich schreibe keine ausgesprochen autobiografischen Lieder, ich habe eher etwas gemein mit den alten Folkies“, erklärt der Junior. „Die Essenz der Folkmusik ist, Geschichten zu erzählen. Ich mag es, dabei eine allgemeine Perspektive einzunehmen und meine Geschichten ein bisschen abstrakt zu halten. Mir geht es weniger darum, Antworten zu geben, denn Fragen zu stellen. Für mich macht es keinen Sinn, meine Songs zu analysieren. Ich möchte sie einfach nur spielen, und die Leute sollen dabei ihre eigene Vorstellungskraft einsetzen.“ Sätze, die auch vom ollen Bob stammen könnten.

The Times They Are A Changing: Seit Kurzem lässt Bob Dylan unter der Marke „Heaven’s Door“ einen eigenen Whiskey brennen. Bereits 2004 gab er zum ersten Mal in seiner Karriere seine „heilige“ Musik für einen Werbespot her – und dann auch noch für Frauenunterwäsche! Seine Ex Joan Baez kann darüber herzhaft lachen: „Bob hat sein Leben lang die Leute vor den Kopf gestoßen. Mich stört dieser Spot überhaupt nicht! Der Mann hat uns so viel gute Musik geschenkt. Selbst wenn er für den Rest seines Lebens kompletten Blödsinn fabrizieren sollte, ginge das in Ordnung. Ich wünsche mir jedenfalls keinen verdrießlichen Dylan. Lieber lache ich über solche Aktionen. Ich weiß, dass er es auch tut. Spätestens dann, wenn er den nächsten Tantieme-Scheck einlöst“.

Joan Baez wird übrigens niemals müde, Bob Dylans Lieder zu singen. Diese besitzen für die heute 80-Jährige noch dieselbe Dringlichkeit wie vor 60 Jahren.

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